1980 - 1989

Die 1980er Jahre waren für Nino Mustica die Gelegenheit, zu reisen, zu experimentieren und zu erkunden. Er reiste mehrmals nach Deutschland, zum Beispiel nach München oder Kassel, nach Griechenland, in die Türkei und nach Spanien. Dazu brach er mit einer kleinen Gruppe von Freunden mit dem Auto von Sizilien aus.

In den Werken, die in dieser Epoche entstanden sind, reflektiert er über die vier grundlegenden Elemente der Abstraktion: Zeichen, Geste, Farbe und Material.

Doch kehren wir in die 1980er Jahre zurück. Damals wägte ab und vereinigte der sizilianische Künstler die vier Merkmale der Abstraktion: Zeichen, Geste, Farbe, Materie. Seine Leinwände umrahmten eine Bildsprache aus immer dichteren Zeichen, die sich in informellen Gesten, in kontrastreichen Farbpaletten, in komplexen Rastern entfalteten, in denen die Form aus der Anhäufung, aus Körperlichkeit und Leerstellen, aus räumlichen und zeitlichen Verflechtungen entstand. Hier wurde die kritische Position des Autors definiert: er schätzte das Zeichen von Giuseppe Capogrossi, die Geste von Lucio Fontana, die Farbe von Giulio Turcato und die Materie von Alberto Burri. Es ist kein Zufall, dass es sich dabei um hohe Generationenbezüge handelte, die zwar für viele eine Verpflichtung darstellten, aber von denen, die nicht über den Bezug hinausgingen, oft falsch interpretiert wurden. Mustica hat diese Lektionen umgewandelt, indem er ihnen etwas Anormales und Abweichendes eingepflanzt hat. Ein wahrer vierfacher Sprung aus den sprachlichen Codex des Archetyps. In seinem Werk verbindet er die vier Charaktere der abstrakten Tradition, indem er den Wert jedes einzelnen in den visuellen Rhythmus der anderen einfließen lässt[i].

Seine Leinwände nahmen eine Bildsprache immer dichter werdender Zeichen ein, die sich in informellen Gesten, in kontrastierenden Farbspektren, in komplexen Rastern entfalten, in denen die Gestalt aus der Anhäufung, aus Körperlichkeit und Leerstellen, aus räumlicher und zeitlicher Verflechtung entsteht[ii].

Es lassen sich signifikante Anleihen bei Giuseppe Capogrossi hinsichtlich der Zeichnung, Lucio Fontana in Bezug auf die Geste, Giulio Turcato in der Verwendung der Farbe und Alberto Burri in der Materialität erkennen. Die vorgenommenen Veränderungen sind signifikant, wobei die schwarzen Zeichen Capogrossis, die als universelles Logo erkennbar sind, in einen festen Pinselstrich transformiert werden, der die Persönlichkeit des Sizilianers verkörpert. Fontanas Gesten, scharf und absolut, werden durch Mustica in der Schärfe der flachen Hintergründe modifiziert. Turcatos Farbe, grell und physisch, taucht in den aufgeblasenen Dissonanzen der Zeichen auf; Burris Material, klassisch informell, klingt in den reichen, aber jetzt subtilen Massen an, physisch und doch ‚elektronisch‘, wie in dem farbigen Cellotex des jüngsten Burri. [iii]

Der Prozess der Zerreißung und Neuzusammensetzung von Farbe und Zeichen nimmt seinen Anfang. Die Werke sind durch ein komplexes und instabiles Farbgefüge gekennzeichnet (Darei un bacio alla luna, 1982; Atitlan – Guatemala, 1981; Manhattan ’81, 1981), das zu jeder Zeit fähig ist, seinen eigene Rhythmus zu erneuern, ohne dabei der figurativen Rhetorik der Transavantgarde oder dem Zitierstil der Anachronisten zu entsprechen, die sich in den betreffenden Jahren im Kunstsystem durchsetzten. Es ist eine bewusste Ablehnung, mit der er sich von den vorherrschenden Trends distanziert.

1980 stellte er seine Radierungen in Catania in der Galerie Le Arti aus.

[i] Gianluca Marziani, Nouvelles realitées, Galerie Leda Fletcher, Genf, 2003, s.p.
ii] Gianluca Marziani, Viaggio al centro della donna, in Gianluca Marziani, Mark Ruyters (Hrsg.), Nino Mustica. Within colour 1994-2004, Leda Fletcher Gallery, Genf, 2004, S. 23.
[iii] Ebd., S. 24

 

Künstlerische Ereignisse

1981

A Milano nasce il gruppo di architettura e design Memphis.

Al Centre Pompidou di Parigi inaugura Identité Italienne: L’art en Italie de 1959 à aujourd’hui.

1982

Jean-Michel Basquiat dipinge Boy and Dog in a Jonnypump.



Im Jahr 1981 wurde dem Künstler eine Einzelausstellung in der 9th Street Gallery in New York gewidmet. Dies ermöglichte die Präsentation einer Reihe von Gemälden, die während eines mehrmonatigen Aufenthalts in der amerikanischen Stadt entstanden waren. Die Rückkehr nach Italien, die aufgrund akademischer Verpflichtungen unumgänglich war, fiel dem Künstler angesichts der zahlreichen Anregungen und Möglichkeiten, die ihm die Vereinigten Staaten geboten hatten, schwer.

Im Jahr 1982 folgte in London eine Zusammenarbeit mit der Galerie Zebra One, in deren Rahmen er L’uccello dal becco blu, eine abstrakte Fabel, die sich in dreizehn Gemälden auf Leinwand entfaltet, die in den Thermen von Acireale ausstellt gewerden. Zudem realisierte er im Park der Thermen von Acireale eine Installation.

Künstlerische Ereignisse

1983

Al Palazzo delle Esposizioni di Roma inaugura Una generazione post-moderna, curata da Renato Barilli, Fulvio Irace e Francesca Alinovi.

Alla Galleria d’Arte Moderna di Bologna inaugura L’Informale in Italia, curata da Renato Barilli e Franco Solmi.

Bruce Nauman realizza Know’s Doesn’t Know e Human Nature/Life Death/Knows Doesn’t Know.



1983 wurde er nach Cardiff eingeladen, um Cwmni Dawns, ein Bühnenbild für die Jumper Dance Company, zu entwerfen. Im selben Jahr starb sein Vater.

1984 lernte er Stefania Giarlotta kennen, die bis 1993 seine Lebensgefährtin sein sollte, und stellte in der Kunst Galerie Caecilien Allee in Düsseldorf aus. 1985 kehrte er dorthin zurück, um vier monumentale Wandmalereien für die Haupthalle der Dresdner Bank zu schaffen. Diese stießen auf derart positive Resonanz, dass ihnen im folgenden Jahr (1986) eine Einzelausstellung folgte. Im Rahmen dieser Ausstellung präsentierte er eine Serie von großen Ölgemälden und Mischtechniken auf Leinwand. Yvonne Friedrichs, Autorin des Katalogtextes, vergleicht sein Werk mit dem von Wassily Kandinsky, Mark Tobey, Julius Bisser, Hans Hartung und Cy Twombly.

Künstlerische Ereignisse

1984

Nell’ex-pastificio Cerere di Roma inaugura Atelier a cura di Achille Bonito Oliva, che presenta gli artisti del cosiddetto Gruppo di San Lorenzo.

Alla Galleria L’Attico di Roma inaugura La nuova scuola romana.

A Rivoli (TO) apre il Museo d’Arte Contemporanea, Castello di Rivoli, sotto la direzione di Rudy Fuchs.

Nel Regno Unito si svolge la prima edizione del Turner Prize.



1986 war ein besonders bedeutendes Jahr, denn nach den Ausstellungserfahrungen in Europa und den Vereinigten Staaten, die ihm eine internationale Dimension eröffnenten, entschied sich Mustica für einen Umzug: von Catania nach Mailand, wo er ein Atelier in Corso di Porta Ticinese 38, im Viertel Colonne di San Lorenzo, bezog; dann umzug in Via Giovenale 7. Das Atelier wurde im Laufe der Zeit erweitert, bewohnt und täglich frequentiert, nicht nur von dem Künstler, der dort arbeitete und lebte, sondern auch von Assistenten, Freunden, Künstlern, Studenten und Kritikern. Es befindet sich in einem Innenhof des so genannten ‚Alten Mailand‘, in einem Gebäude, das in den 1500er Jahren ein Kloster war, dann eine Werkstatt, eine Schreinerei und ein Bronzegussraum. Es beherbergt Möbel, Zubehör  und Designobjekte, die von Le Corbusier, Gae Aulenti, Carlo Scarpa, Aldo Rossi, Jarno Saarinen, Achille und Pier Giacomo Castiglioni und die sich mit Arbeitswerkzeugen überlagern. Die mehr als sechs Meter hohen Fenster lassen Licht auf die Werke fallen, während die Räume und die Terrasse außerdem Musticas Sammlungen beherbergen, von antikem Spielzeug über Caltagirone-Keramik bis hin zu Sukkulenten und Kakteen.

Meine so genannte ‚Emigration‘ nach Mailand wurde von dem Bedürfnis nach Konfrontation diktiert, dem Wunsch, mich mit anderen Künstlern zu messen und einen neuen Austausch zu bekommen, im Wesentlichen von dem Bedürfnis, an einer Phase des historischen Ausdrucks teilzuhaben, die natürlich am besten von einer Stadt wie Mailand repräsentiert wird, der einzigen italienischen Stadt, die nicht nur eine europäische, sondern auch eine internationale Perspektive hat.

Als revolutionärer und antiklassischer Künstler hat er mit seinen Vorschlägen eine tiefgreifende Kritik am System des Wissens und der Märkte, die um die zeitgenössische Kunst herum aufgebaut wurden, geäußert. Er hat Symbole aufgestellt und asymmetrische Türme gebaut, um eine verschlossene und kunstfeindliche Mentalität herauszufordern, die durch abweichende Kritik geschürt und durch demagogische Systeme angeheizt wird. Mustica ist in Italien einer der wenigen Meister, ein Bezugspunkt für neue Generationen, die sich selbst und die Welt um sich herum erfahren wollen. Sein Atelier ist eine geschäftige Werkstatt, eine wichtige Station für die jungen Leute, die hierher kommen, um zu lernen und kennenzulernen, um Gedanken zu konstruieren, indem sie mit Materialien hantieren und gemeinsam mit dem Meister Objekte entwerfen und herstellen, mit dem Wunsch, ihrer eigenen Generation und denen, die ihr folgen werden, neue Geschichten zu erzählen. Sperrig wegen seiner kontaminierenden Positionen, die für einen kritischen Menschen, der daran gewöhnt ist, Kunst nur in eine ästhetische Lesart zu übersetzen, schwer zu spezifizierien sind. Das ist das eigentliche Problem bei der Betrachtung eines Werks des sizilianischen Künstlers[i].

[i] Fortunato D’Amico, op. cit., S. 12

Künstlerische Ereignisse

1985

Christian Boltanski realizza il ciclo Monuments.

Martin Disler dipinge Streams of Eros.

1986

A Parigi apre il Musée d’Orsay, su progetto di Gae Aulenti.

A Marfa (Texas) apre al pubblico la Chinati Foundation.



Ende der 1980er Jahre, dank der Erfahrungen im Rahmen des Theaters (Cardiff, Lissabon) und der materiellen Experimente mit Papier, wird das Gefühl der Tiefe und der Durchbrechung der Ebenen in seinen Werken verstärkt. 1986 präsentierte er in der Galleria d’arte Il sale in Catania eine Reihe von Zeichnungen und Aquarellen, die sich durch ein eher analytisches Zeichen auszeichnen, das die Farbe überwiegt (Trasparente, 1986; Aspetti, 1985; Velature, 1985). Eine persönlichere und private Dimension, in der die Kritiker (Texte von Giuseppe Frazzetto, Nicola Moncada und Daniela Fileccia) einerseits Bezüge zu Klee und Kandinsky und andererseits zurAktionsmalerei erkennen. Dann stellte er Gemälde und Grafiken in der Galerie Lu Austoni in Mailand aus und präsentierte eine Gemäldeausstellung auf Einladung der Gemeinde Valverde in Pavia.

Künstlerische Ereignisse

1987

A Trento e Rovereto viene istituito il MART, Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto.

1988

A Prato apre il Centro per l’arte contemporanea Luigi Pecci, sotto la direzione di Amnon Barzel.

Claes Oldenburg e Coosje van Bruggen realizzano Spoonbridge and Cherry.

1989
A Parigi viene inaugurata la Pyramide du Louvre, progettata da I. M. Pei.

Si conclude la prima fase di realizzazione del Grande Cretto di Alberto Burri a Gibellina.



1987 entwarf er zwei Briefmarken für die Polioplus-Kampagne im Auftrag von Rotary International und stellte sie in der Galerie Lauro Jaccarino Arte Moderna in Noventa Padovana aus.

1988 schuf er auf Einladung des Calouste Gulbenkian Museum of Modern Art in Lissabon, Abteilung für modernen Tanz, ein 172 Meter langes Bühnenbild für die Show Movimento para uma tela des Choreografen Jonathan Lunn, die in Porto, Lissabon, Kairo und Cannes aufgeführt wurde.

Im Studio 15 in Mailand präsentierte er 1989 Carta più carta, kuratiert von Cesare Caini mit einer Präsentation von Giorgio Verzotti, eine Reihe von Arbeiten, bei denen er Fragmente anderer Papiere (Gewebe, bedruckt, manchmal auch Stoff wie Tüll, Seide) in den Kleister einfügte, die in das neue Blatt eingearbeitet wurden. In vielen Fällen stammen die Fragmente aus früheren Arbeiten und die Einfügung erfolgt nach kreisförmigen oder linearen Bahnen, die durch kurvige Einschnitte betont werden (Question Mark, 1988; Cactus Flower, 1989). Die Farben sind noch gedämpfter als bei den Gemälden. Sie haben größtenteils ein rechteckiges Format mit vertikaler Ausrichtung. Im selben Jahr stellte er Grafiken in der Buchhandlung F.R.M. in Catania aus.